Ittys Radioséance vom 09.09.2024 ‚Was hat sich verändert nach dem 7.Oktober?‘

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Ittys Radioséance vom 09.09.2024 'Was hat sich verändert nach dem 7.Oktober?'
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‚Was hat sich verändert nach dem 7.Oktober?‘ (Teil1)

Gäste in dieser Sendung der Autor Jens Balzer und Punks Against Antisemitism (Berlin)

Vor dem 7.10., nach dem 7.10.
Was hat sich verändert nach dem 7.10…?
Jens Balzer hat dazu ein Essay mit dem Titel ‚After Woke‘ verfasst, in dem er eine ‚Bestandsaufnahme‘ linker Diskurse post 7.10. vornimmt – er formuliert eine ‚moralische Bankrotterklärung‘ insbesondere den Begriffen und Ideen ‚Postkolonialismus‘, ‚Identitätspolitik‘ (inklusive Queerfeminismus) und ‚Woke‘ gegenüber. Er fordert Tabula Rasa, mit dem Anliegen allerdings, die emanzipatorischen Gedanken, die ggf. in den Begriffen stecken, mittels ‚popkultureller Archäologie‘ freizulegen und zu verteidigen. Es ist ein Appell zur Selbstkritik und die dringend nötige Aufforderung, anzutreten gegen ‚die Lockungen binären Denkens‘ sowie eine eindringliche Warnung vor den Folgen solcher Regression – Essentialisierung, Metaphysik, autoritäre Dogmatik und zwar von ‚rechts wie links‘. Das hört sich jetzt vielleicht trocken an, aber, Leute, das ist es nicht, es geht hier um was: um Leben. Um meins, um das ‚meiner Freund:innen‘, wie Max Czollek sie nennt. All die, die sich weiterhin mit Freuden ‚desintegrieren‘ wollen – und damit gegen die Phantasien aka Konstruktionen von bspw ‚ethnischer Homogenität‘ und ‚kultureller Dominanz‘ antreten. Aus Eigennutz und Notwendigkeit, damit all die, deren Leben von solchen Konzepten bedroht ist, leben und überleben können.

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Gedanken zu Pamphleten

Zwei selbstorganisierte Orte in Deutschland, die ‚Rote Flora‘ in Hamburg sowie das ‚OGH‘ in Berlin, ehemals ‚beiruth‘ dann ‚an der autobahn‘, haben innerhalb einer Woche in Bezugnahme auf den Krieg in Nahost ein Selbstverständnis veröffentlicht. An beiden Orten habe ich sehr, sehr viel Zeit verbracht, sie waren mir wichtig, kann ich sagen und sind es wohl offensichtlich noch. Die Statements könnten unterschiedlicher nicht sein, in Form wie Inhalt. In der Analyse und in ihrem Verhältnis zueinander lässt sich vielleicht Etwas abbilden: ein Müllsack oder ein Selfie oder der Gegenwärtige diskursive Zustand von DiY Spaces.

OGH beginnt mit dem Satz: ‚falls euch der ganze Text zu lang ist‘ (und er ist in der Tat sehr lang) ‚könnt ihr einfach bis zu unserem Manifest-Link am Ende vorspringen für ein leicht verständliches Statement.‘ Ok, das mach ich. Da steht: ‚OGH ist weder jetzt, noch war jemals und wird auch in der Zukunft kein Ort sein, der militaristische, imperialistische, nationalitische oder kolonialistische Ideen unterstützt. Punkt. Falls Ihr die Stiefel jedwedes militaristischen oder genozidalen Regimes lecken wollt, seid ihr hier falsch.‘

Dann folgt der Link zu einem anarchistischen? Manifest, das sich liest wie eine Steinschleuder zurück in die 80er Jahre.

Die Flora hält sich dagegen kurz und schreibt u.a.: ‚(…)die Rote Flora ist kein homogener Raum, sondern ein antiautoritärer, basisdemokratischer, pluralistischer Ort des Austausches.‘ Das Fazit aus benanntem Austausch: ‚Gegen jeden Antisemitismus, Rassismus und autoritäre Linke.‘

OGH wirft den Leuten also eine Menge Ideen vor die Füße, auf die ich und alle Leser:innen, das Publikum und v.a. die Veranstalter:innen im Einzelnen eingehen müssten, um der Forderung des OGH nachkommen zu können oder eben auch nicht, die da lautet: diese Begriffe sind abzulehnen!Falls das OGH diese komplexen Begriffe intern diskutiert und sich auf eine Deutung geeinigt hat, lässt sich ob mangelnder Transparenz im Statement nicht erkennen. Da ich den Raum mitgegründet habe, kann ich sagen, dass die 3 Menschen, die dort ein paar Jahre hauptsächlich tätig waren, anders, als vom OGH behauptet, diese Begriffe jedenfalls niemals geklärt haben – einfach, weil es dieses Vorhaben überhsaupt nicht gab. Wir haben da Haltung gezeigt in Form von Booking und im Alltag, Hinweisschilder jedweder Art fanden wir doof. Die Behauptung einer inhaltlichen ‚Tradition‘ oder eines Status Quo im Bezug auf ideologische Ideen in diesem Raum ist also schlicht unwahr.

OGH bespielt also jetzt im Gegensatz zu den ideenlosen Menschen nicht mit leeren Wänden und Offenheit den Raum, sondern in Abgrenzung von Begriffen.Ablehnende Haltung zu diesen wird zwar vorrausgesetzt, aber es wird weder erläutert noch verdeutlicht, was denn eigentlich das OGH unter ihnen versteht. Ihr Inhalt bleibt leer oder wird ignoriert, als wären sie letztlich bedeutungslos. Wäre da nicht der autoritäre Tonfall, der wortwörtlich ‚falsch‘ endet. Wo ‚falsch‘ ist, ist halt auch ein ‚Richtig‘, ein ‚Entweder/Oder‘, ein ‚Gut/Schlecht‘ und S/W. Dazwischen ist nichts. Oder nichts, was verhandelbar wäre.

Im Gegensatz möchte die Flora Austausch und ‚kritische Auseinandersetzung‘. Dabei zieht sie allerdings rote Linien, nämlich Antisemitismus, Rassismus und autoritäre Linke‘ – anders als das OGH schafft sie es aber diese ‚-ismen‘ trotz der Kürze des Textes zu definieren: Antisemitismus zeigt sich in der Delegitimierung von Kritik an der Hamas, und die ‚autoritären Linken‘ beschreiben sich in ihrer Aktion gegen die Flora selbst.
Nun ist das Statement des OGH wie gesagt sehr lang – allerdings besteht es zum größten Teil aus der Beschreibung von Zuschreibungen auf das Kollektiv OGH und der Abgrenzung von diesen sowie einer Menge Schlagworten wie ‚Befreiung, Unterdrückung, Solidarität‘. Was die im Einzelfall bedeuten sollen, bleibt offen.
Dialog wird im Text erwünscht, ausdrücklich jedoch nur mit Menschen, die nicht ‚falsch‘ denken oder sagen oder performen, also die Worthülsen des OGH nicht hinterfragen.
Wie dann Diskurs stattfinden soll – keine Ahnung. Oder noch härter formuliert: ist einfach unerwünscht.

Ich schreibe dies, weil ich das nicht nur schade und auch traurig finde, sondern weil ich denke:

Euer Statement, liebes OGH, ist eine Zumutung! Inakzeptabel! Autoritär! Anmassend! Find ich überhaupt nicht in Ordnung! Will ich nicht so stehen lassen. Dialog und Diskurs ist Alles, was wir haben, um die Welt in unseren Möglichkeiten besser zu machen. Pamphlete und Schlagworte können dabei höchstens Impulse bieten. Aber Dialog muss man ausprobieren und leben und aushalten und nicht gleich die Tür zumachen, wenn es ein bisschen kompliziert wird. Die Welt ist halt ebenfalls kompliziert, man kann aber trotzdem Spass in und an ihr haben.
Itty sagt OI Veh!

https://www.rote-flora.de/2024/statement-des-plenums-der-roten-flora-vom-15-05-2024

https://t.me/musikstattautobahn

English version: on manifestations

Two self-organized spaces in Germany, the ‚Rote Flora‘ in Hamburg and the ‚OGH‘ in Berlin, formerly ‚Beiruth‘ then ‚an der autobahn‘, published statements within a week, referencing to the war in the Middle East.

I spent a lot of time in both places. They were important to me, I can say, and obviously still are. The statements couldn’t be more different, both in form and content. But something can perhaps be spotted in the analysis of both and in their relationship to one another: a garbage bag perhaps or a selfie or the current discursive state of DiY spaces.

OGH begins with the sentence: ‚if the whole text is too long for you‘ (and it is indeed very long) ‚you can simply skip ahead to our manifesto link at the end for an easy-to-understand statement.‘ OK, I am going to do that. It says: ‚OGH is not now, has never been, nor will ever be a space that supports militaristic, imperialist, nationalist, or colonialist ideas. Full Stop.(…)If you want to lick the boots of any militaristic genocidal regime then we are not the space for you.‘

Then follows the link to an anarchist? Manifesto that reads like a slingshot back to the 80s.

Flora, on the other hand, keeps it short and writes, among other things: ‚(…) the Rote Flora is not a homogeneous space, but an anti-authoritarian, grassroots democratic, pluralistic place of exchange.‘ The conclusion from the exchange mentioned: ‚Against all anti-Semitism, racism and authoritarian leftism.‘

So OGH throws a lot of ideas at people’s feet, which I and all readers, the audience and especially the organizers would have to address in detail in order to be able to comply with the OGH’s demand or not, which reads: these terms are to be rejected! If the OGH has discussed these complex terms internally and agreed on an interpretation, this discussen nevertheless does not transform into the public. Since I co-founded the space, I can state that, contrary to what the OGH claims, the three people who mainly worked there for a few years never clarified these terms – simply because there was never an undertaking to do so. We hopefully showed attitude in the form of booking and in everyday life, we regarded the usual ‚do this don’t do that‘ refeferences of all kinds unproductive. The claim of a substential ‚tradition‘ or a status quo in relation to ideological ideas in this space is thus simply untrue.

In contrast to the people ’sans ideas‘, OGH does not now play the room with empty walls and openness, but rather by rolling out demarcation lines. A negative attitude towards these is assumed, but it is neither explained nor made clear how and what OGH actually understands by them. Their content remains empty or ignored as if they were ultimately meaningless. If it weren’t for the authoritarian tone that literally ends in ‚wrong‘. Where there is ‚wrong‘, there is also a ‚right‘, an ‚either/or‘, a ‚good/bad‘ and b/w. There is nothing in between. Or nothing that is negotiable anyways.

In contrast, Flora wants exchange and ‚critical discussion‘. However, it draws red lines, namely anti-Semitism, racism and authoritarian leftism – but unlike the OGH, it manages to define these ‚-isms‘ despite the brevity of the text: Anti-Semitism is evident in the delegitimization of criticism of Hamas, and the ‚authoritarian left‘ describes themselves in their action against the flora.

Now, as I said, the statement from the OGH is very long – however, it largely consists of the description of attributions being made towards the OGH collective in the past and the differentiation from them as well as consisting in lot of keywords such as ‚liberation, oppression, solidarity‘. What each means individually remains unclear.

Dialogue is desired or asked for in the text, but expressly only with people who do not think, say or perform ‚wrongly‘, i.e. do not question the OGH’s empty phrases.

How discourse is supposed to take place – I have no idea. Or to put it even harsher: it is obviously not desired by the authors.

I’m writing because I not think it’s really a shame and also sad, but also because I believe:

Your statement, dear OGH, is an imposition! Unacceptable! Authoritarian! Presumptuous! I don’t think it is okay at all! I do not want to leave it like that.

Dialogue and discourse is everything we have to make the world a better place to the best of our ability. Pamphlets and slogans can only provide impulses. But you have to try out dialogue and live it and endure it and not immediately close the door when it gets a little complicated. The world is also complicated, but you can still have fun in and with it.

Itty says OI Veh!

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Zäsur aka A Space Free From Conflict

Oktober 2023, genauer gesagt 28. Oktober 2023

Ich habe Herbstferien und mir vorgenommen, endlich DIE PLATTE fertigzumachen. Nach jahrelanger Pause habe ich diesen Sommer wieder Musik gemacht, vier Wochen lang habe ich in Co.Donegal, Irland die Sounds und O-Töne einer Dokumentation, die ich auf YouTube entdeckt hatte, zerhackt, ergänzt und zu neuen Tracks zusammengesetzt. ‚Dancing on Narrow Ground: Youth and Dance in Ulster‘ ist ein Dokumentarfilm von Desmond Bell für BBC Channel 4 aus dem Jahr 1995, der nie ausgestrahlt wurde.

Statt dessen sitze ich schon seit Tagen, seit dem 8.10., vor den KANÄLEN. Künstlerische Produktion ist mir nicht möglich. Ein paar Tage lang versuche ich zu verstehen, was passiert ist und passiert, ich versuche mich zu orientieren und eine Haltung zu finden ohne Reflex. Und ich versuche reflexhaftem Handeln zu widerstehen, was in meinem Fall bedeutet, mich zu äußern, auch wenn der Klops im Hals steckt und ausgehustet, gespuckt, gekotzt werden möchte. Schliesslich hatte ich auch fast 10 Jahre Sendepause auf meinem eigenen Kanal, jedenfalls in schriftlicher Form. Damit ist jetzt Schluss. Ich glaube, dass in jedem Text, den ich jemals geschrieben habe, folgender Satz vorkommt: ‚Man muss sich die Hände schmutzig machen, um gerade heraus zu kommen’. Ich schreibe ihn auch jetzt wieder. Hände schmutzig machen, heißt für mich, dass es in dieser Welt für (politisch denkende) Menschen kein schwarz-weiß Denken geben sollte, weil diese Welt komplex und das In-der-Welt-sein kompliziert ist und Genauigkeit erfordert. Dass man immer Fehler machen wird, auch wenn man es nicht möchte. Ich plädiere für die schwierigen Grauzonen. Für das Untersuchen und Überprüfen der eigenen Haltung, immer wieder neu. Aber auch dafür, Haltung zu entwickeln, zu haben und auch zu zeigen, wenn man soweit ist, oder auch, wenn es nötig ist. Ich halte es jetzt, an dieser Stelle, heute, für nötig. Ich verlinke diesen Text.

Überprüfte Haltung, neu gefundene Haltung, schön und gut, wie wird die jetzt praktisch, wie sitzt die in der Welt (unbequem wahrscheinlich und zwischen Stühlen), einsam vielleicht auch. Das fühlt sich nicht gut an, wenn auf der einen Kundgebung 10000 Leute sind, darunter viele Bekannte, und auf der anderen, der, der ich beigewohnt habe, weil ich es für das Angemessene hielt, höchstens 300, immerhin drei Bekannte. Das fühlt sich nicht gut an, denn auch wenn es nicht um Befindlichkeiten geht und schon gar nicht um meine, so habe ich doch Gefühle. Auch Gefühle des Zweifels – in dieser Unverhältnismäßigkeit (nicht Israels Verteidigung gegenüber den fortwährenden Angriffen der Hamas ist hier gemeint, wohlgemerkt, bitte keine Missverständnisse! – nein, ich meine die unausgewogenen Anwesenheitszahlen auf den Kundgebungen) zweifle ich. Ich denke ‚hier stimmt doch was nicht – bin ich doch fehlgeleitet, bin ich zu doch ‚falschen‘ Schlüssen gekommen? Denn ich ich stehe hier, mit den Wenigen, weil ich meinen Überzeugungen folge, die ich durch Überlegungen hergestellt habe, durch Informationsüberprüfung und Abwägung, durch Abgleich meiner früheren Erkenntnisse und Erfahrungen – und hoffe, dass andere das auch tun oder getan haben. Nicht ‚die anderen‘, aber dazu kann es schnell werden. Wo verläuft die Grenze, wo wird Freund zum Feind? Die meisten Menschen wollen ja ‚gut‘ sein, das ‚Richtige‘ tun, das habe ich schon weiter oben geschrieben. Ich betone das nochmal, ich unterstelle keine bösen Absichten, aber auch nicht endlos und bedingungslos – da sind sie wieder, meine Haltungsgrenzen. Wir alle können uns informieren, auch kauen und nochmal kauen auf dem Unverdaulichem, dem Unbekömmlichen und Unangenehmen. Wir alle sind fähig, zu überlegen, zu denken und zu Schlüssen zu kommen.

Aber mit dieser Schnelligkeit und Vehemenz? Glaub ich nicht.

Sehr schnell haben sehr viele Menschen beschlossen, dass der Krieg, der im Moment zwischen der israelischen Regierung und der Hamas stattfindet, ein Krieg ist, den Israel verschuldet hat. Durch seine Existenz. Durch seine Politik. Dass demzufolge dieser Krieg eine Befreiungskrieg der Palästinenser ist. 

Dass das Massaker am 7.10., dass Juden und Jüdinnen vernichten sollte, und von der Hamas verübt worden ist, notwendig und richtig war. 

Weil Israelis Kindermörder sind. Weil Israel einen Genozid verübt. Weil Israelis Nazis sind. Weil Israel kein Existenzrecht hat. Weil Israel weg muss. 

10.000 in Berlin, 300.000 in London schreien ‚Israel’. Wen sie aber meinen, sind Jüd:innen.

Weil ‚die Juden‘ schuld sind, an Allem. 

Das sind sie immer.  

Ich überlege beim Schreiben, ob ich durch die Wiederholung, durch das Aufschreiben dieser Sätze, dazu beitrage, sie in der Welt ‚wahr‘ werden zu lassen. Aber ‚wahr‘ ist das Einzige, was sie NICHT sind. Diese Sätze, und daher möchte ich sie jetzt tatsächlich nicht noch einmal wiederholen, sind falsch. Diese Sätze sind Lügen, Propaganda, Hassrede.

Vor allem aber sind sie Eines: Zeugen für den Antisemitismus, der nie weg war in diesem Land, in Deutschland. Hier wurde die Ideologie des Antisemitismus, der zwar in ganz Europa verbreitet war und ist, als Massenmord, als Holocaust umgesetzt. 55.000 Jüd:innen allein aus Berlin sind ermordet worden.

Unter den am 7.10.2023 ermordeten Menschen waren höchstwahrscheinlich auch Nachkommen dieser ermordeten BerlinerInnen. Auch vor meinem Nachbarhaus ist ein ’Stolperstein’ verlegt. Von meiner Wohnung aus kann man den Nachbarn im Hinterhaus gut in die Küche schauen. Ich glaube kein Wort des ‚wir haben nichts gewusst.‘

Ebenfalls in meiner Nachbarschaft ist ein schöner kleiner Laden, erst vor kurzem war ich da. Was ich nicht gewusst habe:

‚Im Jahre 1884 eröffnet der Wiener Magier Josef Leichtmann in der Friedrichstraße, nahe des Metropol-Theaters (heute Admiralspalast), den Zauberladen „Zauberkönig“, der sich schnell zu einer beliebten Institution entwickelt. Seine vier Töchter, die „magischen Schwestern“ bauen sein Zauberimperium aus und gründen gemeinsam mit ihren Ehemännern weitere Zauberhäuser in Hamburg, München und Köln. Im Jahre 1906 übernimmt Leichtmanns älteste Tochter Charlotte den „Zauberkönig“ und führt die Geschäfte bis in die Dreißiger Jahre gemeinsam mit ihrem Mann Arthur Kroner und ihrer Tochter Meta erfolgreich fort. 1938 wird die Familie aufgrund ihrer jüdischen Herkunft gezwungen ihren Laden abzugeben, die Angestellte R. Sch. übernimmt daraufhin die Geschäfte. 1941 oder 1942 wird Meta nach Auschwitz deportiert, ihre Eltern trinken im Jahre 1943 aus einem Becher mit Gift.‘

Ich will R. Sch., der ehemaligen Angestellten, nichts unterstellen, aber schnell ist sie von der Angestellten zur Chefin avanciert.

Egal, wo ich hinschaue und hinlese, ein bisschen herumkratze, an der Oberfläche der Geschichte, tauchen sie auf, diese Geschichten. Geschehnisse. Tatberichte von Mord. Auf der Sonnenalle, da ist jetzt ein Fußballplatz, ein KZ-Aussenlager von Sachsenhausen. Überall in der Stadt die kleinen Geschäfte, die erst von Enteignungen, später von Zwangsarbeit profitiert haben. Nee, ihr Leute, schuldig fühle ich mich nicht. Schuldig gefühlt hat sich meine Mutter, geboren 1932 in Breslau/Wroclaw. Weil sie bei den Deportationen ihrer Klassenkamerad:innen zugeschaut hat, mit 10, 12 oder wie auch immer. Mein Vater ist Jahrgang 1941. Dessen Vater, Kanonenfutter an der Ostfront, gefallen 1942, hat Fotos geschickt, Leichenhaufen an Strassen, untertitelt ‚russische Untermenschen‘. Nein, gut fühlt sich das sicher nicht an, nicht für meinen Vater. Und der sieht gerade klar, der kann problemlos erkennen, dass es um das Existenzrecht Israels geht, dass es sich um Antisemitismus handelt. Die Generation meiner Eltern ist die mit den aktiven Tätereltern. Ich fühle mich nicht schuldig und Komplexe habe ich höchstens aus anderen Gründen.

Angewidert bin ich.

Nicht von meinen Eltern.

Aber von euch da auf der Strasse, in den Talkshows, auf Facebook, X und Instagram, vor dem Auswärtigen Amt, unter den Offenen Briefen, in den Universitäten, den Kultureinrichtungen, den Kneipen, Konzertorten, Klubs, die ihr es nicht schafft, ganz einfach mal zu sagen, das der Terror der Hamas auf die Vernichtung von Jud:innen abzielt, auf die Vernichtung Israels und selbstverständlich durch nichts zu entschuldigen und zu relativieren ist!

Am 8.10. habe ich noch gedacht, dass es eine Selbstverständlichkeit ist, Emphase mit den Opfern der Hamas zu haben. Jetzt, 4 Wochen später, zeigt es sich, dass ganz das Gegenteil der Fall ist oder zu sein scheint.

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Papiripar

Proudly participating with co-pilot Istari Lasterfahrer. Please attend!

https://mailchi.mp/ef0de2f12bde/papiripar_eng

http://www.papiripar.com/

Thank you Thomas, for the lovely postcard!!!

ITTY MINCHESTA POSTCARD 05: Weißt du noch? Als wir damals in der scheinbar endlosen Schlange für das Konzert der Sleaford Mods vorm Berliner Club Bei Ruth standen, hat alles so gut zusammengepasst, dass man glauben konnte, dass das Universum auch gerechte Momente hat. Dieses Gefühl hatten wir u.a. Itty Minchesta zu verdanken. Itty ist eine Alleskönnerin, die neben der Teil-Organisation von unprofitablen Orten wie Bei Ruth auch in Punk-Bands spielt, Hörspiele schreibt und Lecture-Performances hält. Selbstsicher wandelt sie in vielen Welten und sucht nach Schnittstellen von Leben, Kultur und Ökonomie. Immer begleitet von der Frage: Wo sind die Risse im System, durch welche man diese Schnittstellen betreten und gerade zum genau richtigen Zeitpunkt wieder verlassen kann? Was wohl ihr Beitrag fürs Festival sein wird? Wird es ein Pamphlet? Etwas Instrumentales? Das Einzige, was klar ist, ist die Tatsache, dass sie unter ihrem Projektnamen ITTY MINCHESTA performen und dabei von Istari Lasterfahrer begleitet wird. Es wird sich zeigen, was sich dann alles verwebt und welches neue Licht aus den alten Sollbruchstellen scheint. Text: Thomas Baldischwyler @th_baldischwyler
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